Das dunkle Kapitel der NS-"Euthanasie"

Insgesamt 406 Menschen mit Behinderungen wurden 1940 von den Nationalsozialisten in mehreren Transporten mit den sogenannten „grauen Bussen“ aus der damaligen Anstalt Stetten in die Tötungsanstalten Grafeneck auf der Schwäbischen Alb und Hadamar in Mittelhessen gebracht und dort ermordet.

325 der in der Tötungsanstalt Grafeneck ermordeten Menschen waren Bewohnerinnen und Bewohner der Anstalt Stetten. Das jüngste Opfer war die erst vierjährige Tilly Baier.

Weitere 70 Menschen mit Behinderung, die von Stetten nach Grafeneck deportiert wurden, stammten ursprünglich aus der bereits geschlossenen Anstalt Kork und waren von dort nach Stetten evakuiert worden. Weitere 11 Menschen mit Behinderung aus Stetten wurden in der Tötungsanstalt Hadamar ermordet. Die Anstalt selbst wurde Ende 1940 beschlagnahmt und erst nach dem Zweiten Weltkrieg nach und nach wieder aufgebaut.

Die Erinnerung an dieses dunkle Kapitel der NS-Euthanasie“ und an die nationalsozialistischen Verbrechen an Menschen mit Behinderung spielt in der Diakonie Stetten bis heute eine wichtige Rolle. Das Gedenken an die Opfer dieser menschenverachtenden Ideologie vom „lebensunwerten Leben“ wird auf vielfältige Weise und an verschiedenen Orten gelebt.

Erinnerungsorte auf dem Zentralgelände der Diakonie Stetten

An mehreren Orten auf dem Zentralgelände in Stetten wird an die nationalsozialistischen Verbrechen unter dem Deckmantel der „Euthanasie“ erinnert und den Opfern dieser Verbrechen gedacht.

Stein des Gedenkens

Stein des Gedenkens

Der Stein des Gedenkens mit den eingravierten Namen der Opfer und das Steinkreuz in unmittelbarer Nähe erinnern seit November 1999 an die im Jahr 1940 ermordeten Menschen mit Behinderung aus Stetten.

Jedes Jahr am Ewigkeitssonntag findet an diesem Ort eine Gedenkandacht statt.  

Der Stein des Gedenkens wurde vom Bildhauer Markus Wolf (Stuttgart-Plieningen) geschaffen. Die Gesamtanlage um den Stein wurde von Prof. Hans Luz (Stuttgart) entworfen.

Tonfiguren des Künstlers Jochen Meyder

Tonfiguren des Künstlers Jochen Meyder

Die Tonfiguren im Foyer des Wildermuthsaals stehen symbolisch für die 325 Bewohnerinnen und Bewohner der damaligen Anstalt Stetten, die 1940 nach Grafeneck gebracht und dort ermordet wurden. Die Figuren waren zuvor in einer Installation des Künstlers Jochen Meyder (Münsingen) in der Gedenkstätte Grafeneck zu sehen.

Auf Wunsch von Teilnehmenden einer Fortbildungsgruppe der Remstal Werkstätten, die sich mit dem Thema auseinandergesetzt hatten, haben die Tonfiguren in der Diakonie Stetten eine dauerhafte Heimat gefunden.

Stuhlhussen der Gedenkaktion zum 70. Jahrestag der „Euthanasie“-Morde

Stuhlhussen in der Schlosskapelle

Die in einer Vitrine in der Schlosskapelle aufbewahrten Stuhlhussen erinnern an die Gedenkaktion zum 70. Jahrestag der „Euthanasie“-Morde.

Die Stuhlhussen aus Stoff wurden von Menschen aus Kernen und Familienangehörigen individuell und kreativ gestaltet.

Enge Zusammenarbeit mit Gedenkstätte Grafeneck

Im Rahmen ihrer Erinnerungskultur arbeitet die Diakonie Stetten mit der Gedenkstätte Grafeneck sehr eng und vertrauensvoll zusammen. Unter anderem gibt es regelmäßige Besuche von Gruppen aus der Diakonie Stetten und gemeinsame Veranstaltungen wie etwa das Forum „Leonie Fürst: Widerstand gegen die Euthanasie in der NS-Zeit“ im Rahmen des Jubiläumsprogramms „175 Jahre Diakonie Stetten“.

www.gedenkstaette-grafeneck.de

Aktionen und Veranstaltungen

Jährliche Andacht am Ewigkeitssonntag beim Stein des Gedenkens

Jedes Jahr am Ewigkeitssonntag findet im Anschluss an den Gottesdienst in der Schlosskapelle eine Andacht beim Stein des Gedenkens statt, in der den in Grafeneck ermordeten Menschen mit Behinderung gedacht wird.

Erinnerungs-Aktion zum 70. Jahrestag der "Euthanasie"-Morde

Mit einer besonderen Gedenkaktion erinnerten engagierte Bürgerinnen und Bürger im Jahr 2010 an die Opfer aus Stetten.

In Stetten wurden zwischen der evangelischen Kirche und dem Gelände der Diakonie in einer langen Reihe Stühle mit den Namen der Ermordeten aufgestellt.

Die über die Rückenlehne gezogenen Stuhlhussen aus Stoff wurden von Menschen aus Kernen und Familienangehörigen individuell und kreativ gestaltet. 

Später wurden sie im Innenhof der Wildermuthhäuser ausgestellt.

Gedenkfeier im Jubiläumsjahr 2024 und Gedenksteine „Niemals vergessen“

Am 27. Januar, dem bundesweiten Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, fand in der Gedenkstätte Grafeneck bei Gomadingen  eine Gedenkfeier statt, bei der die Vorstände Rainer Hinzen und Dietmar Prexl drei Gedenksteine für die Opfer der NS-„Euthanasie“ niederlegten.

>> Zum Bericht über die Gedenkfeier

Ausstellung „NS-Euthanasie“ im Jubiläumsjahr 2024 an der Ludwig Schlaich Akademie

An der Ludwig Schlaich Akademie in Waiblingen eröffnete die Diakonie Stetten im Februar 2024 die Ausstellung „Grafeneck 1940 - Die "Euthanasie"-Verbrechen in Südwestdeutschland“, die die historischen Ereignisse und Hintergründe der nationalsozialistischen Verbrechen an Menschen mit Behinderung unter dem Deckmantel der „Euthanasie“ dokumentiert.

>> Zum Bericht über die Ausstellung

Namensliste aller bekannten Opfer

Die Namen aller bis dato bekannten Opfer aus der Anstalt Stetten, die in den Tötungsanstalten Grafeneck und Hadamar von den Nationalsozialisten ermordet wurden sind in dieser Liste zusammengefasst.

zum Download: Namensliste aller bekannter Opfer

Anmerkung: Die Liste wurde nach bestem Wissen und Gewissen und auf Grundlage der vorliegenden historischen Erkenntnisse erstellt. Sollten neue Erkenntnisse auftauchen, so bitten wir um eine Mitteilung an diakonie-stetten.archiv@diakonie-stetten.de

Publikationen

Buch von Dr. Martin Kalusche

„Das Schloß an der Grenze“

Kooperation und Konfrontation mit dem Nationalsozialismus in der Heil- und Pflegeanstalt für Schwachsinnige und Epileptische Stetten i. R.

Die Veröffentlichung des »Schloß an der Grenze« von Martin Kalusche 1997 in der Diakonie Stetten hat zu einer vertieften Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und dem Bild dieser Geschichte geführt.

Buch von Kathrin Bauer

„Oh, ich hasse es, dieses Pack“ Leonie Fürst – Eine Ärztin und die NS-„Euthanasie“-Verbrechen

Dieses Buch beleuchtet erstmals umfassend das Leben und Wirken von Leonie Fürst. Von ihrem Studium zur Ärztin, über ihre Zeit in Stetten, in der sie versuchte, Menschen vor der Vernichtung zu bewahren, bis hin zu ihrer späteren Arbeit am Bodensee.

Dokumentarfilm des Stettener Vereins Allmende

„Stetten.Grafeneck.1940. – eine Busfahrt in den Tod“

Dokumentarfilm des Stettener Vereins Allmende im Rahmen des Projekts „Dorfgedächtnis“, u.a. mit Zeitzeugeninterviews und einer Dokumentation der Gedenkaktion zum 70. Jahrestag der Deportationen in die Tötungsanstalt Grafeneck.