Der 3G Gott wird geboren
Geistlicher Impuls Dezember 2021
Weihnachten. Es wird dieses Jahr wieder anders sein.
Während Menschen auf der ganzen Welt sich wieder mit 3G Regeln, Hygiene Maßnahmen und Abstandsverordnungen beschäftigten, macht Gott gerade das Gegenteil.
An Weihnachten feiern wir als Christen, dass der Abstand zwischen Himmel und Erde überwunden wird. Gott kommt zu uns in unserer Welt und wird Mensch, damit wir Menschen uns als Gotteskinder wissen dürfen. Die Abstände zwischen dem Menschlichen und dem Heiligen werden auf ein Minimum gekürzt.
Am aller ersten Weihnachten wurden im Stall von Bethlehem keinerlei Hygieneregeln eingehalten. Als Jesus geboren wurde, roch es nicht nach reinen Windeln (wovon wir in manchen Weihnachtsliedern singen). Es roch nach Stroh, Mist und Erde. Heute würden wir uns wundern, dass ein Kind unter solchen Umständen überleben kann.
Die 3G Regeln, zum Schutz des eigenen und des anderen Lebens, wurden bei der Geburt des Christkinds nicht missachtet. Sie wurden neu definiert. Anstatt von geimpft, genesen oder getestet, stand die Geburt Jesu unter den Zeichen „geheimnisvoll, großzügig und gemeinnützig“.
Geheimnisvoll wirkt bis heute die kurze Geschichte des Geschehens von Bethlehem. Erstaunlicherweise lässt sich Jahr für Jahr in dieser kleinen, vertrauten Geschichte wieder etwas Neues entdecken. Das Geheimnisvolle darin rührt Fragen, Bedürfnissen oder Emotionen in uns, die manchmal überraschend wirken. Eine dunkle Nacht, ein Kind, ein Stall, ein paar desorientierte Eltern, ein Engel, eine Handvoll Hirten. Viel mehr gibt die Geschichte nicht her. Aber jeder Teil spricht für etwas, was uns Menschen in unserem Innersten treffen kann.
Geheimnisvoll und großzügig zugleich erzählt die Weihnachtsgeschichte von einer Botschaft, die nicht nur die einheimischen Hirten aus der unteren Arbeiterklasse einschließt. Sie bringt auch die Großen und die Gelehrten aus den oberen Schichten eines fernen Landes in Bewegung. Ein Stern leuchtet für alle, die ihn sehen wollen. Die Botschaft von einem großzügigen Gott mit einer weitherzigen Liebe und Zuneigung zu allen Menschen, nahm in Bethlehem seinen Lauf.
Im Lauf seines Lebens wurde Jesus mehrmals getestet. Auch geprüft, gekränkt wurde er, und, mit aller Giftigkeit des menschlichen Zusammenlebens, ist er auch geimpft worden. Das war jedoch nicht sein endgültiges „G“.
Jesu letzter „G“ war seine Gemeinnützigkeit. In Jesus wurde Gott Mensch. Achtend, respektierend, ermächtigend und ermutigend, zeigte er uns wie das Leben aussehen könnte, wenn Menschen Nächstenliebe üben, zueinanderstehen und sich für das gegenseitige Wohl einsetzen. Letztendlich setzte er sein Leben dafür ein. Längst nicht so sanft und still wie sein Geburt, folgte sein Tod und seine Auferstehung den gleichen 3G Regel. An den Enden Jesu Lebens war etwas Geheimnisvolles und Großzügiges im Spiel. Und Alles in Allem spricht für die Gemeinnützigkeit Gottes Botschaft für unsere Welt und ihre Völker. Gott wird Mensch, damit wir menschlicher werden. Gott beginnt ein Leben unter uns Menschen, damit wir Menschen ohne Ende Leben bei Gott haben. Das nimmt uns die Angst vor unserer Endlichkeit und lässt uns die weihnachtliche Botschaft der Engel hören:
Fürchtet euch nicht.
Heute ist der Heiland geboren.
Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erde
bei den Menschen seines Wohlgefallens.
Deswegen dürfen wir uns dieses Jahr, während wir uns an die menschlichen 3G Regeln halten, auch auf die 3G Regel besinnen, die zu Weihnachten gehören. Wir feiern die Geburt Gottes, der geheimnisvoll, großzügig und gemeinnützig in unserer Welt kommt und heute noch unter uns lebt.
Frohe Weihnachten!
Geistlicher Impuls Dezember 2021
von Pfarrerin Nancy Bullard-Werner
Geliehen ist die Zeit in der wir leben
Geistlicher Impuls November 2021
Zwischen den leuchtenden Farben der Natur im Oktober und den leuchtenden Lichtern der Advents- und Weihnachtszeit im Dezember, liegt der graue November. Der neblige Monat, in dem wir uns in unsere Wohnungen zurückziehen oder in den Kirchen und auf den Friedhöfen unserer Toten gedenken. Doch allem Grauen und Traurigem zum Trotz hat der November auch eine gewisse Schönheit und eine bestimmte Wichtigkeit. Die sanft zugedeckte Natur und die religiösen und kulturellen Rituale führen uns dazu über all das, was in der Natur und in unserem menschlichen Leben vergänglich ist, nachzudenken. „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf das wir klug werden“, steht im Psalm 90 in der Bibel und ermutigt uns zur Besinnung.
Auf unsere herbstlichen Gedanken trifft nun in diesen Novemberwochen die Welt Klimakonferenz in Glasgow. Dort in dieser schottischen Großstadt versammeln sich Vertreterinnen und Vertreter von rund 200 Länder, um Lösungen für die steigende Erderwärmung zu beschließen. Dass das Klima sich ändert, und dass wir Menschen eine erhebliche Rolle dabei spielen, wissen wir seit langem. Dass die Erde und unsere Zivilisation damit bedroht sind und wir uns in den Industrieländern verändern müssen um schlimme Konsequenzen zu vermeiden, wissen wir ebenfalls seit mehreren Jahrzehnten.
Schon 1985 stand der evangelische Kirchentag unter dem Motto „Die Erde ist des Herrn“. Er widmete sich der Ökologie und der menschlichen Verantwortung. Gerade für diesen Kirchentag schrieb der Pfarrer und Liederdichter, Jochen Rieß, das Lied „Die Erde ist des Herrn“. Darunter die Strophe:
„Die Erde ist des Herrn / geliehen ist der Stern, auf dem wir leben, / drum sei zum Dienst bereit, gestundet ist die Zeit, die uns gegeben.“
Die Dringlichkeit der „gestundeten Zeit“ ist in den beunruhigenden Meldungen aus Glasgow wahrzunehmen. „Wir sind auf dem Weg in die Klimakatastrophe und schaufeln uns unser eigenes Grab“, sagte UNO Generalsekretär António Guterres. Von „eine Minute vor Mitternacht auf der Uhr des Weltuntergangs“ redete Boris Johnson. Und Greta Thunberg kündigt die „Alarmstufe Rot für die Erde“ an.
Die Vergänglichkeit allen Lebens, auch des Lebens unseres Planeten, rückt uns im Licht dieser Verkündigungen näher. Wer nicht, im Angesicht dieser Realitäten, den Kopf in dem Sand steckt, schreckt auf. „Wo fangen wir an?“ „Wie setzten wir Prioritäten?“, „Was ist am wichtigsten?“ „Was kann ich tun?“ Die Fragen, die vor dem Klimawandel gestellt werden ähneln den Fragen, die gestellt werden, wenn ein geliebter Mensch auf sein Lebensende zugeht.
Ein im Jahr 2018 herausgegebenes Impulspapier der Evangelische Kirche Deutschland (EKD) versucht auf diese fast verzweifelten Fragen, Antworten zu bieten. Das Papier nimmt das Thema Nachhaltigkeit und christliche Verantwortung gegenüber der Schöpfung auf. Angelehnt an den Liedtext von Jochen Rieß, nannte die EKD das Papier „Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben“. Darin wird (u.a.) zur „Dankbarkeit“ ermutigt. „Dankbarkeit ist ein Augen-Öffner und eine Kraftquelle für die Wege, die wir zur Reformation und Transformation der Welt vor uns haben,“ steht im ersten Kapitel.
Übernehmen können wir diese Gedanken, wenn wir vor dem Sterben oder Tod eines geliebten Menschen stehen. „Dankbarkeit ist ein Erinnerungs-Helfer und eine Kraftquelle für die Wege, die durch die Trauer führen“ – so etwa.
Natürlich wird die Dankbarkeit allein uns und unsere Welt nicht aus der Klimakrise hinausführen. Ebenso nicht aus den Tiefen der Trauer. Aber Dankbarkeit lässt die Farben der Vergangenheit leuchten. Und Dankbarkeit motiviert auch mit Wohlwollen und Entschlossenheit vorwärts zu blicken und danach zu handeln. Darum lohnt es sich in dieser grauen Novemberzeit voller Dankbarkeit an das vergangene Leuchten der Natur zu denken. Was in der Zukunft leuchten wird, wissen wir heute nicht. Was wir wissen ist, „geliehen ist der Stern, auf dem wir leben“ und dazu „geliehen ist die Zeit in der wir leben“. Auf den, der uns diese Gaben leiht, dürfen wir mit Dankbarkeit schauen. Dankbarkeit für die unerschöpfliche Treue, die immer wieder in den dunkelsten Zeiten aufleuchtet.
Geistlicher Impuls November 2021
von Pfarrerin Nancy Bullard-Werner
Ohne das erforderliche Passwort geht heute gar nichts mehr
Geistlicher Impuls Oktober 2021
An meinem Computer oder am Bankautomaten oder beim Einschalten meines Handys, immer wieder werde ich nach dem Passwort gefragt, das mir dann das betreffende Programm aufschließt. Und wehe ich habe es vergessen oder bei all den verschiedenen Passwörtern verwechselt! Dann geht gar nichts. Es fehlt der Schlüssel!
Papst Franziskus hat in einer Ansprache betont, dass es auch für das menschliche Zusammenleben solche Passwörter gibt, Schlüsselwörter, die ein gutes Miteinander fördern und die oft gestörte Kommunikation erleichtern.
Die Passwörter, von denen der Papst spricht, sind weder geheim noch für wenige reserviert, sie sind öffentlich und beim ersten Zuhören fast zu einfach:
Bitte, Danke, Entschuldigung.
Alltägliche Worte, aber leider oft aus dem Sprachgebrauch verschwunden. Diese einfachen Worte, so der Papst, seien die Würze in jeder Beziehung.
Wer „Bitte“ sagt, fragt einen anderen höflich, ob er in sein Leben eintreten darf. Er benimmt sich ihm gegenüber nicht wie ein Elefant im Porzellanladen, sondern erweist ihm Respekt und Aufmerksamkeit.
Einen anderen um etwas bitten klingt verbindlicher und herzlicher als im harschen Befehlston etwas zu fordern. Und jede Bitte zeigt wie sehr wir aufeinander angewiesen sind und uns gegenseitig brauchen und ergänzen. Keiner kann alles und hat alles und niemand genügt sich selbst.
„Danke“ ist das andere Passwort, das Wunder wirken kann. Nichts versteht sich von selber. Wie oft werde ich beschenkt. Jemand hilft mir aus der Patsche, oder springt für mich ein, womit ich nie gerechnet hätte.
Es sind Allerweltswörter: Bitte, Danke, Und dann gibt es da noch ein drittes dieser Passwörter:
“Entschuldigung“. Wie schnell suchen wir die Fehler und die Schuld bei anderen und reden uns heraus “ich war es nicht“. Aber es gibt keinen, der perfekt wäre, keinen, der immer nur Recht hätte und keinen, der nicht lieber/manchmal den anderen anklagt.
Natürlich zeige ich eine Schwäche, wenn ich mich entschuldige, aber nur so ist Vergebung möglich, nur so kann eine Störung in unserem Zusammensein behoben werden.
Bitte. Danke. Entschuldigung.
Alle drei Worte kommen aus der gleichen/ein und derselben Haltung. Sie ist für jede menschliche Beziehung im privaten, im öffentlichen Bereich, aber auch im Arbeitsalltag ganz entscheidend.
Wie höre ich mich im Gedanken sagen, auch gerade jetzt, in einer Zeit, die infolge von Corona von hoher Unsicherheit geprägt ist. Wie lange dauert die Pandemie noch? Wie geht es weiter? Was sind die langfristigen Folgen, auch für uns in der Diakonie Stetten?
Habe ich die richtigen Antworten auf diese Fragen und habe ich die Erwartung an mich, für die Diakonie Stetten immer und zu jeder Zeit die richtige Antwort zu haben?
Meine eigene Erwartungshaltung erzeugt bei mir Stress und an manchen Tagen auch ein Gefühl der inneren Angespanntheit?
Die drei beschriebenen Passwörter
Bitte. Danke. Entschuldigung.
helfen mir dabei, mit diesem Spannungsfeld umgehen zu können.
Geistlicher Impuls Oktober 2021
von Dietmar Prexl
Geist der Kraft der Liebe und der Besonnenheit
Geistlicher Impuls September 2021
Liebe Leserinnen und Leser,
als am 25. August der Bundestag zusammentrat, da leitete der Bundestagspräsident Dr. Schäuble mit folgenden Worten ein:
„Wir hatten uns von diesem Sommer eine entspannte Situation erhofft. Mehr Normalität – Erholung. Stattdessen erleben wir Krisen, Konflikte und Katastrophen. Die Pandemie, das Hochwasser und die schrecklichen Bilder aus Afghanistan zeigen schonungslos, wie eng die Welt zusammengewachsen, die Entwicklungen miteinander verflochten sind. […] Die Verzweiflung der Menschen am Flughafen in Kabul zerreißt einem das Herz.“
Ich glaube, dass er damit vielen Menschen aus dem Herzen gesprochen hat.
Ich glaube aber auch, dass es bei diesen Worten des Mitgefühls und der Hilflosigkeit genauso wenig bleiben darf, wie bei der reflexhaften Suche nach Fehlern und Fehleinschätzungen, Schuldigen und Verantwortlichen.
Denn es hilft doch nicht langfristig und tiefgreifend, wenn die Fehleinschätzung eines Ministeriums oder eines Landratsamtes benannt ist und die tieferliegenden Probleme damit aus dem Blick geraten.
Entscheidend ist aus meinem Verständnis heraus, dass die tieferliegenden Ursachen erkannt und an deren Verringerung oder Vermeidung gearbeitet wird.
Starkregen und Großfeuer haben eben etwas mit dem Klimawandel zu tun. Wollen wir der Zerstörung der Erde entgegenwirken, dann braucht es an vielen Stellen Veränderungen in unserer Haltung und unserem Verhalten. Beim Reisen, beim Einkaufen und beim Essen und Trinken.
Schwieriger wird es bei der Frage, woher der Hass von religiösen Eiferern kommt, der sich vor allem gegen Bildung, Freizügigkeit und die Gleichberechtigung von Frauen richtet. Werte, die in Europa mühsam errungen wurden und auf die wir stolz sind, lassen sich offensichtlich nicht mit militärischen Mitteln in die ganze Welt „verpflanzen“. Für sie muss geworben werden und überzeugen können sie nur, wenn wir als Vertreter dieser Werte glaubwürdig sind.
Und die Pandemie? Jenseits der Ursachenforschung hat die Pandemie uns unsere Grenzen des Machbaren gezeigt und gleichzeitig deutlich gemacht, dass es keine Insellösungen in der Bekämpfung geben kann. Wir sind eine Menschheit, die gleichzeitig bedroht ist und sich gleichzeitig gegenseitig unterstützen muss bei der Bekämpfung der Folgen der Pandemie.
Wollen wir nicht hilf- und ratlos bleiben, dann müssen unsere Haltung und unser Verhalten zusammenpassen. Dann brauchen wir einen Geist der Zuversicht, in dem wir die Augen vor der Größe und Komplexität der Probleme nicht verschließen und gleichzeitig mutig für Verbesserung arbeiten. Ich halte mich dabei an ein Wort aus der Bibel:
„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Verzagtheit, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“ 2. Tim 1,7.
Darum bemühen sich die christlichen Kirchen mit ihrer Diakonie schon seit vielen Jahren immer wieder neue Initiativen für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung anzustoßen, zu begleiten und umzusetzen.
Darum hat die Diakonie Stetten als wesentliche Werte in ihrem Leitbild Nächstenliebe, Respekt und Verantwortung benannt.
Auch wenn die Schwierigkeiten sich hoch wie ein Berg vor uns auftürmen und die richtigen Wege manchmal schwer zu finden sind, legen wir uns immer wieder neu ins Zeug, weil wir auf diesen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit vertrauen.
Ihr Pfarrer Rainer Hinzen
„Schau hin!" - Predigt Stadtdekan i.R. Hans-Peter Ehrlich beim Online-Festgottesdienst im Videoformat im Juli 2021
Geistlicher Impuls Juli - August 2021
Zum Jahresfest am 4. Juli 2021 predigte Stadtdekan i.R. Hans-Peter Ehrlich über das Thema des Gottesdienstes „Schau hin!“. Er bezieht sich auf der biblischen Geschichte im Johannes Evangelium 1, 35-46.
Liebe Festgemeinde,
mit dem Sehen ist es so eine Sache.
Ich kann mich noch gut an einen Einkauf erinnern bei der Nikolauspflege in Stuttgart. Ich brauchte einen neuen Kehrbesen. Als ich den Verkaufsraum betrat, fiel mir auf der wuchtigen Nähmaschine ein Zettel auf. Die Mitarbeiterin, die auf der Maschine Lederwaren bearbeitete, fragte ich, ob sie wisse, was da auf dem Zettel zu lesen war. Sie war ja blind. Nein, sagte sie, denn sie konnte es ja gar nicht wissen, wenn es ihr niemand vorlas. Dann las ich, was dastand: „Ich bin nicht blind. Ich kann nur nicht s e h e n.“ Ich merkte ihr an, wie sie innerlich strahlte.
Ja, liebe Gemeinde, mit dem Sehen ist es so eine Sache. Sehen kann mehr sein, als auf einen Gegenstand oder einen Menschen zu blicken.
Viele Menschen erinnern sich gerne an die bekannte Geschichte vom kleinen Prinzen, vor allem an diesen einen besonderen und weltbekannten Satz: „Hier ist mein Geheimnis. Es ist sehr einfach“, sagte der Fuchs zum kleinen Prinzen in der Geschichte von Antoine de Saint-Exupéry.: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentlich ist für die Augen unsichtbar.“
Ja, mit dem Sehen ist es eine besondere Sache.
Mit dem Herzen sehen bedeutet, einen Menschen zu lieben. Über ihn freundlich zu denken, auf ihn Acht zu geben. Dadurch wird unser Leben menschlicher. Wir sehen dadurch mehr von einem Menschen.
Die Bibel beschreibt Gott als den, der auf uns achtet.
Ganz am Anfang, im 1.Kapitel finden wir die schöne Geschichte über Gott, der die Welt erschaffen hat. Und immer, wenn wieder ein Schöpfungstag um war, heißt es: „Und Gott sah, dass es gut war.“ So tat er es Tag für Tag, bis er von seinem Schaffen ruhte.
Beim Sehen geht es um uns selbst und unser Verhältnis zu Menschen, Tieren und Pflanzen. Wer wegsieht, sieht nichts und versteht nichts. Nichts vom Leben anderer, nichts von unseren Lebensgrundlagen, nichts von dem, was Menschen und die Natur brauchen.
Wir haben vorhin gehört, wie Jesus seine ersten Jünger gefunden hat. Johannes der Täufer machte sie auf Jesus aufmerksam: „Seht doch!“ sagte er zu den beiden. Als die ihn dann fragten, wo er denn wohne, bekamen sie als Antwort: „Kommt und seht selbst!“
Am nächsten Tag erfuhr Natanael, dass Jesus aus Nazaret stammt, also aus einer unbedeutenden Kleinstadt, und fragte den Philippus: „Kann aus Nazaret etwas Gutes kommen?“ Der antwortet nur: „Komm und sieh selbst!“ Schau hin!
Nicht das Hörensagen ist entscheidend in unserem Leben, sondern was wir selber s e h e n, damit wir es verstehen und richtig wahrnehmen.
Was wissen wir eigentlich voneinander? Von der Verkäuferin im Bäckereiladen. Über den Lehrer in der Schule? Kennen wir unsere Nachbarn? Wissen wir, wer einsam ist?
Kennen wir eigentlich unsere Kolleg*innen: was sie freut und was sie bekümmert? Und die Mitbewohner*innen in den Wohngruppen?
Es geht nicht darum, andere Menschen auszufragen. Es geht darum, ihnen gut zuzuhören.
Ich fahre gerne in der Stuttgarter Stadtbahn. Manchmal, wenn ich nicht gerade Zeitung oder ein Buch lese, schaue ich mich um. Oder ich blicke kurz auf. Ich entdecke fröhliche Gesichter und Menschen, die traurig dreinschauen. Das kann ich auch in diesen Zeiten spüren und oft auch an ihren Augen ablesen, wenn der Mund-Nasen-Schutz nicht die ganzen Gesichter freigibt.
Manche sehen müde aus oder erschöpft. Was sie wohl müde gemacht hat? Die Arbeit, die Sorgen, Streitereien in der Familie, die Suche nach einer Wohnung?
Oder ich sehe in ängstliche Gesichter von Menschen, die sich nichts mehr zutrauen. Und die vielleicht nicht wissen, wie sie ihren Alltag bewältigen sollen.
Unsere Gesichter sind nicht stumm. Sie sprechen. Sie sagen, wie es uns geht. Im Gesicht eines anderen Menschen können wir sehen, wenn ihn etwas bedrückt oder wenn er sich über etwas freut.
Unsere Gesichter sind ja ein Abbild Gottes. Es heißt in der Bibel:
Gott schuf den Menschen nach seinem Bild. Als Gottes Ebenbild schuf er ihn, als Mann und Frau schuf er sie. (Gen. 1, 27) Heute würden wir sagen: Gott schuf den Menschen als sein Ebenbild in Vielfalt. Diese Vielfalt macht Sinn, denn Gott ist ja viel mehr und viel größer als es ein bestimmter Menschentyp zeigen könnte.
In der Bibel steht auch, dass Menschen sich von Gott kein Bild machen sollen. Warum? Weil sich Gott in a l l e n Menschen abbildet. E i n Bild würde nicht genügen.
Liebe Schwestern und Brüder, in jedem von uns spiegelt sich Gott. Ganz egal wie wir aussehen. Deshalb können wir auch unser Gesicht zeigen. Was darin schön ist, überlassen wir getrost dem Urteil Gottes. Und das lautet: alles.
Liebe Schwestern und Brüder, manchmal fällt mir der alte Professor in Tübingen ein. Nach seiner Vorlesung stand er an der Tür des Hörsaals und redete mit einigen Studenten und Studentinnen. Plötzlich baute sich der kleine Professor vor einer einen Kopf größeren Studentin auf und sagte: „Mensch, bist Du schön!“ Ob sie rot wurde, weiß ich nicht.
Mensch, bist Du schön! Das wäre doch ein Motto dieser Saison, mit dem wir aufeinander zugehen könnten.
Versteht Ihr? So funktioniert es, wenn wir mit dem Herzen sehen und uns nicht von fertigen Bildern leiten lassen, wie jemand aussehen müsste und wie jemand auf uns wirkt.
Menschen müssen einander sehen, wenn sie einander und sich selber besser verstehen wollen. Schaut also hin!
Unser Sehen hat Zukunft. Was wir sehen und wie wir sehen und wen wir sehen.
Denn am Ende der Bibel, im Buch der Offenbarung berichtet der Seher Johannes von seiner Vision über die Zukunft der Welt: „Und ich s a h einen neuen Himmel und eine neue Erde.“ (Offenbarung 21, 1a)
Ja, wir sind unterwegs zu immer besserem Sehen und Verstehen. Dass das gut gehen kann, sagt uns die Bibel
Amen.
Hans-Peter Ehrlich
"Jesus Christus spricht: Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle“. (Offb. 1,18)
Geistlicher Impuls zu Ostern 2021
Seit dem Beginn der Corona-Pandemie haben wir alle bitter gelernt was es bedeutet, sich eingeschlossen zu fühlen. Weltweit wurden die Türen zugemacht. Die Grenzen bekamen wieder Schlagbäume und Kontrollen. Restaurants, Hotels, Konzertsäle und viele andere durften ihre Türen nicht mehr aufschließen. Die Bürger wurden gebeten, hinter ihren Türen in den Wohnungen zu bleiben.
Besonders bitter waren und sind die verschlossenen Türen in unseren Heimen und Pflegeeinrichtungen. Für uns in der Diakonie Stetten nur schwer auszuhalten. Immer wieder haben wir dies im Vorstand und auch mit unseren Führungskräften diskutiert. Passt das eigentlich zu unserem Leitbild, in dem wir davon sprechen, dass wir niemanden ausgrenzen wollen? Passt das zur Entwicklung der letzten Jahre, in denen wir intensiv daran gearbeitet haben, dass die Türen - im Bild gesprochen - weit geöffnet wurden, dass Menschen einander begegnen, dass wir offene Häuser betreiben?
Vor verschlossener Tür stehen. So beschreibt das die Bibel, wenn sie davon spricht, dass wir unter der Herrschaft des Todes leben und vor allem, dass wir sterben müssen und damit in das Reich des Todes eingehen. Da kommt niemand mehr raus. Vor dieser verschlossenen Tür steht am Ende jeder.
Wer einen Schlüssel hat, der hat die Freiheit. Er kann hinaus- und hineingehen, wann und wie er will. Er kann die Tür verschlossen halten oder weit öffnen, so dass auch andere hindurchgehen können.
Ostern feiern wir Christen, weil an Ostern die Tür des Todes sperrangelweit geöffnet wurde für alle, die mit Jesus durch diese Tür gehen. Nicht hinter der verschlossenen Tür bleiben in dem Raum, in dem der Tod regiert. Manche Ausleger sagen, dass die Vorstellung mitschwingt, dass der Tod dem Auferstandenen seinen Schlüssel übereignen musste. Das Bild ist stark. Der Schlüssel als Symbol der Macht gehört nun Jesus, der der Inbegriff der Liebe Gottes zu den Menschen ist.
Nicht dortbleiben, wo Menschen Angst haben müssen, sondern mit Jesus dorthin gehen, wo er auch ist. Dort gibt es keine Angst mehr, keine Not und keine Schmerzen und alle Tränen werden abgewischt.
Ein strahlend schönes Bild!
Von dieser Gewissheit lebt der christliche Glaube:
Christus ist auferstanden und mit ihm werden auch wir leben.
Ein gesegnetes Osterfest
Ihr
Pfarrer Rainer Hinzen
7 Wochen ohne – Blockaden
Geistlicher Impuls zur Fastenzeit 2021
Manchmal muss man sich die alten, die ganz alten Geschichten aus der Bibel leihen. Die von Mose zum Beispiel.
Regionalbischöfin Breit-Keßler erzählt sie folgendermaßen nach:
Auf die Aufforderung Gottes, zum Pharao zu gehen und die Israeliten aus der Unterdrückung zu befreien, meint Mose: Wer bin ich eigentlich, dass ich sowas mache? Auf Gottes Versprechen, dass er ihn unterstützen werde, findet Mose ein neues Gegenargument: Schon die Israeliten werden ihn für verrückt halten. Was soll er ihnen denn sagen, wer ihm den Auftrag gegeben hat? Gott offenbart Mose seinen Namen: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ Eine eindrucksvolle Beschreibung. Sie zeigt, dass Gott sich mit seinem Volk mitbewegt. Der, der helfen will – er ist nicht statisch, sondern mobil. Und Gott weist vorab schon mal darauf hin, dass das für Mose kein Spaziergang werden wird und die Ägypter für ihren erwartbaren Widerstand mit allerlei Plagen rechnen müssen. Mose trifft halb der Schlag. Was soll das werden? Er wehrt ab. Gott scheint entnervt und zeigt eine Kostprobe seiner Möglichkeiten. Muss doch reichen, um Mose für die Aktion zu gewinnen! Falsch gedacht. Mose sagt nun auch noch, dass er sich mit dem Reden schwertut. Die letzte Ausrede, die ihm einfällt. Gott ärgert sich, aber richtig, und fragt Mose, wer eigentlich alles erschaffen hat und alles bewirken kann. Er, Gott, oder? Er kann also auch Mose zum Reden bringen.
Mose hat genug und meint nur noch: „Schick‘ doch, wen du willst. Mich nicht.“ Gott hat jetzt endgültig genug von diesem Mauern. Moses Bruder Aaron soll reden, und Mose muss ihm halt einflüstern, was. Die Brüder werden das gemeinsam doch wohl hinkriegen.
Eine Geschichte mitten aus dem Leben. Aus meinem Leben. Ich kenne es nur zu gut, wie ich mir selbst Blockaden aufbaue. Ausreden erfinde. Wie Mose – zugegeben er sollte ein ganzes Volk retten – doch mein Alltag erschlägt mich manchmal in ähnlicher Härte.
Die Fastenaktion der evangelischen Kirche möchte uns gerade darauf aufmerksam machen. 7 Wochen ohne Blockaden. Wann stehen wir uns selbst im Weg? Wann handeln wir wie Mose und übersehen, dass Gott mit uns ist? Wann nehmen wir uns selbst die Chance uns zu entwickeln und uns auf den Weg zu machen? Würden wir unsere Blockaden ablegen, welche Kraft würde sich freisetzen! Doch da ist eben die Angst Fehler zu machen. Zu scheitern.
Mose hat es geschafft. Er hat seine Kraft freigesetzt, er ist losgelaufen. Und Gott hat sein Versprechen gehalten: „Ich werde sein, der ich sein werde“ galt Mose und gilt auch uns. Gott hält es aus, dass wir Fehler machen. Er hat Mose ausgehalten, ihm sogar einen liebevollen Schubs gegeben. Aber er hat ihn niemals aufgegeben. Gott bleibt dabei.
So ist es an uns, uns in diesen Tagen und Wochen der Fastenzeit mit unseren Blokaden aushalten. Sie vielleicht sogar zu akzeptieren und zu überwinden. Wir sollten zu unseren Fehlern stehen. Weil Gott zu uns steht. So stehen wir uns dann selbst auch nicht im Weg. Sondern wagen etwas. Wagen neue Wege. So wie Mose. Wahrscheinlich scheitern wir auch. Doch dann müssen wir uns auf eine barmherzige Fehlerkultur verlassen dürfen. Die uns nicht blockiert, sondern wachsen lässt. Alles ist möglich.
Das stand auch bei Mose an. Die Befreiung des Volkes Israels setzte Dinge frei, die alles zu ermöglichen schien. Keine Blockaden!
Lassen Sie uns mutig sein und losgehen und barmherzig auf die eigenen Fehler blicken. Lassen Sie uns den Mut haben eigene Blockaden zu erkennen und Möglichkeiten finden sie sein zu lassen. Sich selbst im Weg zu stehen, das gilt es zu überwinden. Nicht keine Fehler zu machen.
Gott ist mit Mose gegangen. Und er geht mit uns. Denn Gott hat sein Versprechen gehalten: „Ich werde sein, der ich sein werde“
Eine gesegnete Fastenzeit
Ihre Diakonin Ulrike Stallmeister
„Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist.“ (Lukas 6,36)
Geistlicher Impuls zur Jahreslosung 2021
Als in den letzten Wochen vor dem Jahreswechsel die Fallzahlen der Corona-Pandemie hier im Großraum Stuttgart spürbar anstiegen, machte sich vielerorts Frustration breit. In Gesprächen hörte ich vermehrt, wie unterschiedliche Gruppen für die Verschlechterung der Lage verantwortlich gemacht wurden. Die Nervosität stieg und mit ihr sank die Bereitschaft, das Verhalten anderer Menschen mit Nachsicht zu beurteilen.
Stehen wir unter Stress, so könnte man meinen, dann zeigen wir unser wahres Gesicht.
Wir fordern dann „Gerechtigkeit“ und „klare Kante“ und „hartes Durchgreifen“. Der Impuls, barmherzig zu sein, ist dann weit weg für uns. Für „Barmherzigkeit“ müssen wir in der richtigen Stimmung sein. Und die stellt sich eher selten ein, ist mein Eindruck. Vielleicht legt sie uns Jesus in den Worten der Jahreslosung deshalb auch mit dem Hinweis auf ihre Verbindung zu unserem Vater im Himmel ans Herz.
Aber erstmal ein Schritt zurück: „Barmherzigkeit“ – ein merkwürdiges Wort. Ein Wort, das sicher viele Menschen kennen, das aber fast nur in der Sphäre der Religion verwendet wird. Allerdings nicht nur im Christentum, auch im Judentum und Islam spielt die Barmherzigkeit eine wichtige Rolle. Da kommt sie fast immer in Verbindung mit Gott vor. Sie ist eine seiner wichtigsten Eigenschaften.
Der Ursprung leitet sich vom hebräischen Wort rächäm her und hat etwas mit dem Mutterleib zu tun. Da, wo die Kinder heranwachsen. Barmherzigkeit ist etwas, das und ganz tief im Innersten betrifft, anrührt, bewegt. In der Hebräischen Bibel spricht Gott viel von Barmherzigkeit, wenn es um sein Volk Israel geht. Besonders dort, wo er die Verfehlungen seines Volkes zwar sieht, aber verzeiht und dem Bund mit ihm treu bleibt.
Im Islam stehen die schönsten Beinamen Gottes mit der Barmherzigkeit in Verbindung: ar-Raḥmān „Allbarmherziger“ und ar-Raḥīm „Allerbarmer“sagen: Gott liebt seine Geschöpfe bedingungslos und er vergibt ihnen gnädig.
Jesus redet über „Barmherzigkeit“ gern in Geschichten: Der verlorene Sohn erlebt, wie er vom Vater am Ende völlig unverdient in die Arme geschlossen wird. Der barmherzige Samariter zeigt ganz praktisch, dass es keine großen Worte, sondern vor allem gute Taten und ein weites Herz braucht. Und so handelt Jesus auch: gegenüber Kranken, Ausgestoßenen, Verbrechern, Hungrigen…
Uns Menschen scheint hingegen die „Gerechtigkeit“ mehr am Herzen zu liegen. Wie oft erwische ich mich, wie ich mich auf den Richterstuhl schwinge und für mich (vor)schnell Urteile spreche. Würden wir die Welt zu einem gerechteren Ort machen, wäre es eine bessere Welt, denken wir.
Gut für uns, dass Gott als Richter neben der Gerechtigkeit auch die Barmherzigkeit kennt. Er lässt sich von uns anrühren und sieht nicht nur unsere nackten Taten und unsere Lebensbilanz. Er sieht uns eben, wie nur eine Mutter oder ein Vater ihr bzw. sein Kind sieht.
Und solange wir darauf mit gutem Grund hoffen, können wir selbst barmherzig werden. Uns anrühren lassen von unseren Mitgeschöpfen, die zwar nicht unsere Kinder, aber alle unsere Brüder und Schwestern sind.
Darum komme ich mit einer kleinen Veränderung zur Jahreslosung zurück: Denn Leben ist nicht ein Sein, wie schon Martin Luther wusste, sondern ein Werden. Also: „Werdet barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist.“ Und das Werden hat etwas mit Einüben zu tun. In diesen besonderen Pandemiezeiten haben wir immerhin besonders viele Möglichkeiten, Barmherzigkeit einzuüben.
Pfarrer Matthias Wanzeck
Aus Matthäus 25 wurden in der christlichen Tradition
die sieben Werke der Barmherzigkeit abgeleitet:
- Hungrige speisen
- Durstigen zu trinken geben
- Fremde beherbergen
- Nackte kleiden
- Kranke pflegen
- Gefangene besuchen
- Tote bestatten