6. Ethikforum am 7. Dezember 2016
"Ein Mensch braucht mehr als nur Moral"
Dr. Eugen Drewermann stand mit seinem Vortrag "Der Mensch braucht mehr als nur Moral" im Mittelpunkt des 6. Ethikforums der Diakonie Stetten.
Der Theologe, Psychoanalytiker, Therapeut und Buchautor gilt als einer der bekanntesten "Kirchenrebellen" Deutschlands. Sein Kirchenrausschmiss aus der katholischen Kirche ging im Jahr 2005 durch die Medien.
Der 76-jährige mit der ruhigen Stimme und einer Vorliebe für Strickpullover ist immer noch aktiv. Er will noch viele Bücher schreiben, praktiziert als Psychotherapeut und hält in der Regel einmal in der Woche einen Vortrag. So führte ihn diesmal auf Einladung des Ethikkomitees der Diakonie Stetten sein Weg von Paderborn nach Kernen.
Mit brillanter Rhetorik gelang es Drewermann, den Bogen zu schlagen zu Wertesystemen, Moralbegriffen und Ethik: „Ethik oder Regeln können Religion nie ersetzen“, so Drewermann. Jeden seiner Sätze trägt er dabei so klar und druckreif vor, dass man mitschreiben könnte. Dabei steht er wie ein Baum in der Mitte der Bühne des Bürgerhauses in Kernen-Rommelshausen, fest verwurzelt, ohne Notizzettel, nur mit dem Mikrophon in der Hand und fesselt die Zuhörer. „Alle Gesetze können Dir nur sagen, was du tun oder nicht tun sollst. Sie geben Dir aber nicht die Kraft dazu.“ Jede seiner Thesen untermauert er mir Zitaten aus der Bibel, Bildern und Vergleichen aus Alltagssituationen, die es den 200 Zuhörern im Saal erleichtern, seinen Gedankenwegen zu folgen.
„Warum der eine zum Ansehen kommt und der andere nicht, hänge schlichtweg davon ab, wohin man hineingeboren wird.“, so Drewermann. Die bloße Willensfreiheit sei reine „Determination“: Ein Mensch kann nie frei sein, weil sein Denken und Handeln von Gefühlen bestimmt ist, deren Wurzeln in prägenden Erlebnissen liegen. Daher könne der Mensch sich nicht frei entscheiden und daher sei die Unterscheidung von Gut und Böse sei zu kurz gegriffen. „Wenn du Menschen helfen willst, muss du dich für den Menschen interessieren, ihn nicht zensieren, manipulieren. Dich in ihn „hineinlieben“.“ Es gehe darum, den Menschen „tief“ zu verstehen, ihm zur Bewusstwerdung zu verhelfen, um ihn dann zurückführen zu können.
Auf die Frage, ob wir Religion für die Nächstenliebe brauchen, erklärte er, dass Liebe zunächst affektiv außerhalb der bewussten Steuerung liege, auch hier wirken Prägungen aus der Kindheit, das Verhältnis zum Vater oder zu Mutter. Nächstenliebe, wie sie Jesus im Neuen Testament verkündet hat, hieße den Nächsten zu lieben, weil er Mensch ist, analog der Erfahrung, wie Jesu es bei seiner Taufe am Jordan erlebt hat als Gott sprach „Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen“, Markus 1. Die Regelsysteme, die man andern und uns selbst auferlegen, machen oft Mitleid, im Sinne des Wortes „mit zu leiden“ nicht möglich.
Zur Person:
Dr. Eugen Drewermann ist Theologe, Psychoanalytiker, Therapeut und Schriftsteller mit internationaler Reichweite; er gehört zu
den erfolgreichsten theologischen Autoren.
Für sein friedenspolitisches Engagement wurde er 2007 mit dem Erich-Fromm-Preis ausgezeichnet, 2011 erhielt er den im selben Jahr erstmals verliehenen internationalen Albert-Schweitzer-Preis.
Der gefragte Referent nimmt immer wieder Stellung zu aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen.