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Eine Frau mit außergewöhnlichem Mut - Diakonie Stetten veranstaltete Forum zur Publikation über Leonie Fürst
Kernen-Rommelshausen, 5. Dezember 2024 – Am Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen veranstaltete die Diakonie Stetten im Rahmen ihres Jubiläumsjahres ein Forum zu Leonie Fürst, die als junge Ärztin in der damaligen Anstalt Stetten Widerstand gegen die NS-„Euthanasie“ leistete. Kathrin Bauer, Mitarbeiterin der Gedenkstätte Grafeneck, hielt im Bürgerhaus Kernen einen Vortrag zu ihrer Publikation über Leonie Fürst, die sich 1940 mutig gegen die Deportation von Bewohnern einsetzte. Anschließend diskutierten unter anderem Autorin Kathrin Bauer sowie Theologe Dr. Martin Kalusche aus Hamburg über Leonie Fürsts Lebensgeschichte und wie ihr mutiges Handeln auch heute noch Beispiel sein kann.
Rund 130 Zuhörer fanden sich im Bürgerhaus Kernen ein, um mehr über die Ärztin Leonie Fürst zu erfahren, die sich im Jahr 1940 während des „Euthanasie-Programms“ der Nationalsozialisten gegen die Deportationen von Bewohnern der damaligen Anstalt Stetten wehrte und die für ihr späteres Wirken als Ärztin in Aidlingen am Bodensee das Bundesverdienstkreuz erhielt. Kathrin Bauer, Mitarbeiterin der Gedenkstätte Grafeneck, hatte sich im Auftrag der Diakonie Stetten ausführlich mit Leonie Fürst beschäftigt und eine Publikation verfasst, die an diesem Abend erstmals veröffentlicht wurde. Dietmar Prexl, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Stetten, dankte bei seiner Begrüßung Kathrin Bauer für ihr gelungenes Werk zu einem der dunkelsten Kapitel aus der Geschichte der damaligen Anstalt Stetten und lobte die jahrelange gute Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Grafeneck. „Die Zeit des Nationalsozialismus darf nicht in Vergessenheit geraten, ebenso wenig wie die Menschen, die sich gegen das Unrechtsregime gestellt haben. Auch heute gilt es, sich mutig und mit ganzem Herzen für Menschen einzusetzen, die ausgegrenzt werden. Die Zeit des Nationalsozialismus darf sich niemals wiederholen“, betonte Dietmar Prexl.
Kathrin Bauer gab einen Einblick in ihr Werk mit dem Titel „Oh, ich hasse es dieses Pack“ nach einem Zitat Leonie Fürsts, welches sie ihrem Ehemann in einem Brief geschrieben hatte. Sie zeigte auf, wie die Ärztin, die später im Grafeneck Prozess aussagte, versucht hatte, die Bewohner vor dem sicheren Tod durch die Nationalsozialisten zu bewahren. Insgesamt gab es sieben Deportationen von Menschen mit Behinderungen aus Stetten, 406 Bewohnerinnen und Bewohner wurden in den Tötungsanstalten Grafeneck und Hadamar auf grausame Weise ermordet. „Den Deportationen waren viele Jahre der Ausgrenzung und Stigmatisierung von Menschen mit Behinderungen in Folge der Verbreitung des nationalsozialistischen Gedankenguts vorausgegangen. Zwangssterilisationen gehörten zur alltäglichen Realität. Leonie Fürst verfasste Gutachten und Berichte über Bewohner, um sie als arbeitsfähig darzustellen und sie so vor den Deportationen zu schützen. Zudem verhandelte sie mehrmals mit den Verantwortlichen des Innenministeriums“, berichtete Kathrin Bauer. Im Staatsarchiv München konnte die Autorin in der Spruchkammerakte Einblick in einen Brief an Leonie Fürsts Ehemann bekommen. „Sie war verzweifelt, dass sie als Frau nichts bewirken konnte und hatte nach den Erlebnissen in Stetten erst einmal genug von der Medizin“, so Kathrin Bauer. Später gründete sie in Aidlingen ihr „Pflegenest“ für werdende Mütter und arbeitete wieder als Ärztin.
Thomas Stöckle, Leiter der Gedenkstätte Grafeneck, Philip Jähne, Initiator der Publikation und Lehrer an der Theodor Dierlamm Schule der Diakonie Stetten, Dr. Martin Kalusche, Theologe und Verfasser des Buches „Das Schloss an der Grenze“, Kathrin Bauer und Heike Gennat, Geschäftsbereichsleiterin in der Diakonie Stetten, sprachen anschließend darüber, welche Bedeutung das Wirken dieser mutigen jungen Frau bis heute hat. „Ich habe mich mit meinen Schülern mit dem Nationalsozialismus beschäftigt und bin auf Leonie Fürst gestoßen. Ich hatte immer mehr das Gefühl, wir haben es hier mit einer großen Frau zu tun und sollten deren Lebensgeschichte genauer beleuchten“, erzählte Philip Jähne. Ihm ist wichtig, mit seinen Schülern über diese Zeit zu sprechen und die Erinnerung wach zu halten und auch Heike Gennat betonte: „Ich konnte noch meine Großeltern fragen, wie sie diese Zeit erlebt haben. Aber Jugendliche von heute können das nicht mehr, denn es gibt immer weniger Zeitzeugen. Sie werden über Medien wie TikTok vom aufkommenden Rechtspopulismus beeinflusst. Leonie Fürst hat sich mit begrenzten Mitteln dazu entschieden, Mut zu zeigen. Eine Aufgabe von uns allen ist, auch mutig zu sein und uns immer wieder zu fragen, wie wir Ausgrenzung verhindern können“.